Conecta in Toledo: TV-Produktionsland Spanien schwingt sich auf - DWDL.de (2024)

Mit Serien wie "Narcos", "Haus des Geldes" (im spanischen Original "La casa de papel") oder "Elite" hatte besonders Netflix in den vergangenen Jahren einen sehr großen Anteil daran, dass auch die nicht-spanischsprachige Welt mutmaßlich mehr Zeit mit spanischsprachigen Produktionen verbracht hat als jemals zuvor. So verwunderte es auch nicht als Netflix 2018 seinen ersten europäischen Produktionsstandort im Großraum Madrid ansiedelte. Man bezog zunächst drei Studios in der Ciudad de la Tele (TV City) in Tres Cantos im Norden der spanischen Hauptstadt. 2022 baute der Streamer seine Aktivitäten aus, erweiterte seine Produktionsfläche um weitere Studios, was es zum bis heute größten europäischen Hub für den Streamingdienst macht.

© Netflix

Aber Netflix ist wahrlich nicht allein mit seiner Liebe zu Spanien, auch Amazon investiert inzwischen erheblich. Neben den Streamingdiensten hat auch das europäische Produktions- und Distributionshaus Beta Film in den vergangenen Jahren nach Italien ebenso Spanien als Quelle spannender Produktionen ausgemacht und TV-Serien wie „Grand Hotel“ und „Velvet“ international vertrieben. "In Spanien erleben wir gerade, was Skandinavien vor ein paar Jahren erlebt hat: Produzenten, die sich danach sehnen, auch international mitzuspielen", erklärte Beta Film-Chef Mojto 2014 zu Beginn des Booms im DWDL-Interview.

In den USA wiederum macht der spanischsprachige Sender Univision bereits seit 2010 immer wieder Schlagzeilen mit Einschaltquoten, von denen manches englischsprachige Network in den Vereinigten Staaten nur noch träumen kann. Im inzwischen vollends digitalen und damit noch grenzenloser globalisierten TV-Markt entwickelt sich die Weltsprache Spanisch zum erheblichen wirtschaftlichen Faktor für Wachstum.

Mehr Genres, mehr Budget, mehr als Telenovelas

Noch vor 20 Jahren war das anders: Da galten Telenovelas aus Südamerika allenfalls als mögliche Vorlagen für Adaptionen in den USA oder anderswo. So zum Beispiel „Yo soy Betty, la fea“ aus Kolumbien, das in Deutschland als „Verliebt in Berlin“ und in den USA als „Ugly Betty“ gänzlich unterschiedlich und komplett auf lokale Gewohnheiten angepasst adaptiert wurde. Mehr war nicht drin. Im Original waren diese Produktionen im internationalen Verkauf, wenn überhaupt, nur ein geringer Erfolg. Oftmals wurden spanischsprachige Produktionen nur für lokale Märkte produziert, nicht einmal ins spanischsprachige Ausland verkauft. Gerade im Telenovela-Genre war das Überangebot in einzelnen Märkten so groß, dass seltener der Bedarf gegeben war, im sprachlich verwandten Ausland zuzukaufen.

Erst mit dem Aufkommen der Streamingdienste wurde häufiger über Grenzen hinweg gedacht. Produktionsbudgets wuchsen, die Genre-Vielfalt nahm zu. Das half dem Produktionsstandort Spanien, der - wenn gleich günstig - auch nicht mit den nochmals weitaus billigeren Telenovelas aus Lateinamerika mithalten konnte. Ein weiterer Effekt, der alles befeuerte: Die neue Offenheit des Publiku*ms globaler Streamingdienste für Serienstoffe aus nicht englisch-sprachigen Ländern. Und nicht nur dort: Der große Vox-Erfolg „Club der roten Bänder“, beispielsweise, beruhte auf der katalanischen Serie „Polseres Vermelles“. Im Original oder als Adaption wurde TV made in Spain ab 2014/2015 immer gefragter.

© TV3

Mehr Nachfrage, mehr Budget und eine Weltsprache, die mit neuem Selbstbewusstsein anglo-amerikanischen Produktionen gegenübertritt, wobei durchaus gewisse Handschriften unverändert erhalten geblieben sind, glücklicherweise. So zum Beispiel die immer noch oft spürbare Liebe zu einem gewissen Glossy Look, etwa beim Netflix-Erfolg "Elite“, wo man in den späteren Staffeln bei allerlei Wendungen und Überraschungen auch noch die Telenovela-Heritage deutlich spürt. Es wäre auch zu schade, wenn sich solche individuellen Qualitäten einzelner Märkte vollends zu Gunsten internationalisierter Produktionen auflösen würden.

8. Conecta Fiction & Entertainment in Toledo

Im spanischen Toledo findet in diese Woche die Conecta Fiction & Entertainment statt, eine europäische TV-Messe, die nicht zufällig parallel zu dem Boom spanisch-sprachiger Produktionen im Jahr 2017 zum ersten Mal veranstaltet wurde. Fokus-Partner diesmal sind Brasilien und Portugal, auch weil im non-englischsprachigen Produktionsmarkt die nächste Hürde fällt: Nach der intensivierten Zusammenarbeit unter spanischsprachigen Märkten geht der Blick jetzt über den Tellerrand zu den portugiesisch-sprachigen Nachbarn. DWDL.de wird aus Toledo berichten.

© imago / Pond5 Images

Zu den Highlights des dreitägigen Kongressprogramms gehören die "Commissioners Pitching Sessions", in denen Einkäufer von Prime Video, Disney, RTI-Mediaset Group, Movistar Plus+, Rakuten TV, Max España, RTVE, Globo und ZDF über ihren Programmbedarf und Programmstrategie sprechen. Der spanische öffentlich-rechtliche Rundfunk RTVE gibt einen Ausblick auf kommende serielle Produktionen, darunter auch "Weiss & Morales", eine Krimi-Koproduktion mit dem ZDF, die auf den Kanarischen Inseln entstanden ist. Disney ist stark vertreten und feiert die Premieren der brasilianischen Disney+-Serie "Vidas Bandidos" sowie spanischen YoungAdult-Serie "Ayla & the Mirrors".

Spannend wird in den kommenden Tagen der Blick auf die in Toledo gepitchten Stoffe und Genres: Welche Trends sind erkennbar? Welche Weiterentwicklunge, etwa von stark seriell erzählten Stoffen, sind zu beobachten? Schließlich entdecken gerade manche Streamingdienste den Reiz von stärker horizontal erzählten, möglicherweise langlaufenden Serien für sich. „Maxton Hall“, das inzwischen erfolgreichste nicht-englischsprachige Original von Prime Video, wandelt schließlich auch auf den Spuren des „Elite“-Erfolgs und ging bereits ratzfatz in die Produktion der zweiten Staffel.

Wettbewerb der europäischen Standorte intensiviert sich

Es gibt aber auch noch ein ganz anderes Interesse Spaniens an Besuch aus dem europäischen Ausland: Mit dem seit Jahren vorangetriebenen Ausbau der Produktionskapazitäten im Land, nicht zuletzt durch die Aktivitäten von Netflix, will Spanien sich nun auch deutlich offensiver als Produktionsstandort für europäische Projekte anbieten. Die Infrastruktur wurde aufgerüstet, die Rahmenbedingungen praktikabler gestaltet. Und das in Zeiten, in denen der Wettbewerb der europäischen Standorte um die nächsten Großproduktionen shcärfer wird. Nicht ohne Grund verzweifelt die deutschen Produktionslandschaft an der schlafenden deutschen Medienpolitik, wenn es um die Einführung einer neuen Filmförderung geht.

In den vergangenen Jahren war es insbesondere die Tschechische Republik und deren Hauptstadt Prag, die von der Untätigkeit und Orientierungslosigkeit deutscher Förderung profitierte. Andere osteuropäische Länder haben ihre Bemühungen ebenso verstärkt und seit Anfang 2023 hat auch Österreich Deutschland eine neu aufgestellte Filmförderung voraus. Jetzt kommt also auch noch Spanien um die Ecke - und das nicht mehr nur mit besserem Wetter, sondern einem umfassenden Katalog an Unterstützung, auf dem man aus Deutschland nur mit einem gewissem Neid blicken kann. Denn ohne eine Weltsprache wie Spanisch wäre es nochmal umso wichtiger, für den Standort zu trommeln.

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